Samstag, 16. Mai 2020
m/b: Modelländerung
Bisher habe ich den Parameter R₀ in unüblicher Weise definiert. Beim RKI heißt es: "Die Reproduktionszahl beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt." ...

... "Durch Infektionsschutzmaßnahmen lässt sich die Reproduktionszahl verringern. Man spricht von einer zeitabhängigen Reproduktionszahl R(t). Es gilt:

  • Wenn R > 1, dann steigende Anzahl täglicher Neuinfektionen,
  • Wenn R = 1, dann konstante Anzahl täglicher Neuinfektionen
  • Wenn R < 1, dann sinkende Anzahl täglicher Neuinfektionen.
"

Ich möchte statt von R(t) von Rₜ sprechen. Ich würde es praktisch finden, diese Definition nur für den Anfang einer Epidemie gelten zu lassen. So ist sie ein Maß für den Erfolg die Gegenmaßnahmen. Die Anzahl der Neuerkrankungen geht am Ende auch ohne Maßnahmen zurück, wenn ein größerer Teil der Bevölkerung immun geworden ist.

Ich sage also jetzt Rₜ, wo ich früher R₀ gesagt habe. Außerdem gibt es noch eine Änderung. Um die Bedingung "Wenn R=1, dann ..." zu erfüllen musste ich einen Faktor b einbauen. Damit haben wir ein geändertes Modell, das "m/b" heißen soll im Unterschied zu "m/a", dem bisherigen Modell.

Modelldefition m/b

Das Modell ist nach wie vor durch das Flußdiagramm

characterisiert. Zur Bedeutung der Buchstaben S, E, I1, I2, Q, R, K siehe m/a

Das Modell ist definiert durch das folgende System von Differentialgleichungen

Hier ist nur der Faktor b neu. Er ist der Ausgleich dafür, dass ein durchschnittlicher Infizierter nicht über die ganze infektiöse Zeit andere anstecken kann. Er wird nämlich zu einem Anteil q nach 6 Tagen isoliert.

Parameter

  • Für die Faktoren γ, die die durchschnittliche Verweildauer in den einzelnen Kompartimenten bedeutet, siehe m/a.
  • Rₜ ändert sich mit der Zeit. Ich zerlegung die Zeit in 10 Tage breite Intervalle und vor und bestimme einen passenden Wert. Rₜ(t) ist also eine Treppenfunktion. Die Werte werden in einem automatisierten Verfahren durch Anpassung an die offiziellen Fallzahlen bestimmt.
  • q hat am Anfang einer Epidemie (S ≈ N) gar keinen Einfluss. auf die Anpassung des Modells an die Daten. Bei hoher Dunkelziffer steigt die Zahl der Immunen schneller. Ich wähle q = 0,8.
  • Anfang braucht das Modell eine Angabe über die Zahl der Infizierten. Ich habe Diese Zahl durch halbautomatische Anpassung an die Daten im März auf 1500 gesetzt.

Rₜ in Scenarios

Interesse an einem Modell wie m/b und an der Funktion Rₜ wird man deshalb haben, weil es eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung erlaubt. Wenn auch nicht sehr genau. Man kann davon ausgehen, daß es bei einer weitgehenden Lockerung zu einem schnellen Anstieg der Erkrankungen kommen würde.

Das Argument ist, dass die Krankheit sich schnell in der deutschen Gesellschaft ausbreiten kann, wie im März geschehen und dass der starke Rückgang der Neuerkrankungen im April auf die Quarantänemaßnahmen zurückzuführen ist. Die Werte von Rₜ, mit denen das Modell das vergangene Geschehen simulieren kann, können die Maßnahmen der entsprechende Zeit characterisieren. So kann man eine Vorstellung entwickeln, ob weitere Lockerungen möglich sind. Das Modell m/b ist ein minimalistisch einfaches Modell, doch es hat denselben Kern wie viele solche Modelle.

S′ = -β⋅S⋅I/N

wo β eine Konstante, S die Zahl der Ansteckbaren, I die Zahl der Ansteckenden und N die (konstante) Populationsgröße ist. Man kann argumentieren, dass es für einen Ansteckungsvorgang eine Person aus I braucht. Die hat nun im Mittel β Kontakte am Tag, mit irgendwelchen aus der Bevölkerung. Zu einem Anteil von S/N führen diese Kontakte zu einer Ansteckung. S′ ist aber das Negative der Zahl der Neuansteckungen pro Tag. In β verbirgt sich Rₜ. Es muß noch so normiert werden, dass über die gesamte Zeit der Infektiösität Rₜ die Zahl der Ansteckungen ist, die von einem Infizierten ausgeht.

Man stellt also die Frage: Wenn wir durch bestimmte Maßnahmen ein bestimmtes Rₜ für die Zukunft einstellen würden, was hätte das für Folgen?

Ich habe solche Szenarien mit dem m/b gerechnet.

Die Interpretation ist: Eine dauerhafte Überschreitung der Schwelle 1,0 für Rₜ wird später zu einer "Welle" an Erkrankungen führen, gegen die die "Welle" vom März nur ein Kräuseln war. Nach einer solchen Welle bleibt bei Rₜ=1,1 oder Rₜ=1,2 der Anteil der Immunen mäßig und die Maßnahmen müssen noch für viele Jahre aufrecht erhalten werden.

Die Abbildungen zeigen auch ungefähr stationäres Verhalten bei Rₜ=1.

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